Afrikas Stimme gegen den Klimawandel
Sie sind einer der Erstunterzeichner des Aufrufs „Afrikas Stimme gegen den Klimawandel“. Warum unterstützen Sie diesen Aufruf?
Negusu Aklilu: Ich selbst bin Umweltaktivist und arbeite für eine lokale Nichtregierungsorganisation in Äthiopien. Schon seit langer Zeit bemerken wir, dass der Klimawandel heftige Auswirkungen auf Afrika hat. Letztendlich ist Afrika weder der Schuldige noch verantwortlich für das, was passiert. Es ist aber in vielen Gebieten sehr davon betroffen. Es geht also um Klimagerechtigkeit. Wenn es um Gerechtigkeit geht, dann halte ich als Aktivist es für meine moralische Pflicht, mich dieser Initiative anzuschließen. Daher habe ich das Angebot sofort akzeptiert, einer der Erstunterzeichner zu werden.
Inwiefern ist der afrikanische Kontinent vom Klimawandel und seinen Folgen betroffen?
Negusu Aklilu: Der Klimawandel wirkt sich wirklich heftig auf Afrika aus. Ein betroffener Bereich ist die Landwirtschaft. In Afrika leben die meisten Menschen von Landwirtschaft, die vom Regenfall abhängig ist. Wegen des Klimawandels und der globalen Erwärmung haben sich die Niederschlagsmuster in den letzten Jahrzehnten verändert. Der Regen ist unberechenbar geworden. Die Bauern haben eigentlich ihr eigenes traditionelles Wissen über den Regen und das sie umgebende Klima. Jetzt geschehen jedoch Dinge jenseits ihres Wissens, weshalb sie den Niederschlag nicht mehr vorhersagen können. Aus diesem Grund ist die Produktivität beeinträchtigt, und in vielen Teilen Afrikas droht eine unsichere Ernährungslage.
Ein anderer betroffener Bereich ist die nomadische Viehzucht, von der viele in Afrika leben. Durch den Klimawandel wird das Wasser rar, Quellen versiegen, die Anzahl und Größe der Flüsse verringern sich. Das erschwert das Überleben der Nomaden. Aus diesem Grund nehmen in vielen Teilen Afrikas die Auseinandersetzungen über Ressourcen wie Wasser zu.
Das Gesundheitswesen ist ein weiterer betroffener Bereich. Ich selbst komme aus Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, die etwa 2500 m über dem Meeresspiegel liegt. Diese Höhe hat früher verhindert, dass die für Malaria verantwortlichen Moskitos sich vermehren. Aber durch den Klimawandel und die Erwärmung verwandelt sich das Hochland in Hochlandwüste. Daher gibt es an Orten wie Addis Abeba jetzt Malaria. Davon ist nicht nur das Gesundheitswesen betroffen, sondern auch die afrikanische Wirtschaft. Malaria kostet Afrika viele Leben und viel Geld, weshalb viele Afrikaner arm bleiben. Schon aus diesem Grund könnte die Ausbreitung der Malaria ziemlich gefährlich werden. Bedroht vom Klimawandel ist auch die Biodiversität, Afrikas Artenreichtum.
Afrika durchlebt gerade eine schwierige Zeit, da es versucht hat, sich von den Fesseln seiner vielen Herausforderungen zu befreien, die jetzt vom Klimawandel verschärft werden. Somit ist der Klimawandel jetzt und in der Zukunft eine wirtschaftliche, soziale und politische Herausforderung für Afrika.
Wie bewusst ist sich die afrikanische Öffentlichkeit des menschlichen Einflusses auf das Klima und damit auf den Klimawandel gegenwärtig?
Negusu Aklilu: Als afrikanische Akteure müssen wir unsere Aufmerksamkeit besonders auf dieses Bewusstsein richten, denn der Klimawandel und seine Bedeutung werden von vielen noch nicht besonders gut verstanden. Einerseits gibt es also ein sehr geringes öffentliches Bewusstsein. Andererseits beschränken sich die existierenden Informationen und das Wissen auf akademische Institutionen und Forschungseinrichtungen. Daher müssen wir in der Zukunft zwei wichtige Aufgaben erledigen. Erstens müssen wir die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf dieses Thema lenken. Zweitens müssen wir einen Weg finden, auf dem die verschiedenen Stakeholder Erkenntnisse und Informationen austauschen können. Auf diese Weise verbessern wir die Informationslage und das Problembewusstsein in Afrika.
Was könnte und sollte getan werden, um den afrikanischen Ländern zu helfen, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen?
Negusu Aklilu: In Afrika ist einiges an Anpassung erforderlich, beispielsweise im Politikbereich. Afrikanische Regierungen sollten Politikinstrumente einführen, die es leichter machen, mit dem Klimawandel umzugehen. Ein anderer Punkt ist das schon erwähnte Problembewusstsein. Die Menschen müssen wissen was passiert und sich auf das vorbereiten, was noch kommt. Es geht außerdem darum, Prioritäten zu setzen. Für afrikanische Regierungen besitzt der Klimawandel aus vielen Gründen nicht die höchste Dringlichkeit. Die Regierungen sollten ihn endlich ernst nehmen und meiner Meinung nach sogar den Notstand ausrufen, denn der Klimawandel wird für ganz Afrika zu einer bedrohlichen Krise.
Was sollten die afrikanischen Regierungen und die Zivilgesellschaft darüber hinaus noch tun?
Negusu Aklilu: Die afrikanischen Regierungen und die Zivilgesellschaft sollten sich zusammenschließen und ihre jeweiligen Rollen und Verantwortlichkeiten bestimmen. Die Zivilgesellschaft kann – wie wir es jetzt getan haben – den afrikanischen Aufruf unterstützen. Damit dieser erfolgreich ist brauchen wir die Zusammenarbeit mit den afrikanischen Regierungen. Dann können wir gemeinsam eine Umwelt schaffen, in der die afrikanische Bevölkerung eine bessere Anpassungs- und Widerstandskraft hätte.
Was genau verlangen Sie von den Industrienationen?
Negusu Aklilu: Es ist gut, dass ich mit uns selbst angefangen habe. Manche Menschen denken, dass wir mit dem Finger nur auf die industrialisierte Welt zeigen. Das stimmt aber nicht. Als Afrikaner sollten wir uns verantwortlich fühlen dafür, mit unseren Ressourcen vernünftig umzugehen, beispielsweise durch eine effektive Bevölkerungspolitik, durch die in Zukunft die Belastung der Ressourcen verringert wird. Wir müssen sehr vorsichtig im Umgang mit den wenigen verbleibenden Rohstoffen wie Wäldern, Erdboden und Gewässern sein. Denn die hohe Belastung unserer Rohstoffe in der Vergangenheit hat unsere Fähigkeit untergraben, uns jetzt an den Klimawandel anzupassen. Andererseits ist der Klimawandel in Afrika fast vollständig auf das zurückzuführen, was in Europa und der industrialisierten Welt passiert. Es geht also um Ethik und moralische Verantwortung. Das muss die industrialisierte Welt persönlich nehmen. Würde jemand mit einem schlechten Nachbarn hinnehmen, was auch immer in der Nachbarschaft oder im eigenen Haus geschieht, wenn dies durch die verantwortungslosen Handlungsweisen seines Nachbars ausgelöst würde? Nein! Irgendwann müssen diese beiden Nachbarn eine anständige Lebensweise finden, durch die keiner dem anderen schadet. Was den Klimawandel angeht, sagen wir genau das: Wir sind Nachbarn. Wir haben viele Krisen und negative Einflüsse verschiedenster Form hingenommen. Jetzt ist die Zeit gekommen, den schlechten Nachbarn in seine Schranken zu weisen. Die industrialisierte Welt muss zuallererst die moralische Verantwortung fühlen und aktiv werden, um die Emission von Treibhausgasen auf das Niveau von vor den 1990er Jahren zu senken. Wenn das erfolgt, behaupten die Experten, dass die Folgen des Klimawandels minimiert werden können. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass die bereits ausgestoßenen Treibhausgase die Welt noch in den kommenden Jahrzehnten in Mitleidenschaft ziehen werden. Also sollte die industrialisierte Welt konkrete Maßnahmen ergreifen und die Verantwortung für die Dinge übernehmen, die sie in der Vergangenheit getan hat und immer noch tut, die einen negativen Einfluss auf Afrika hatten. Sie sollte konkrete Maßnahmen ergreifen in Bezug auf Lebensstile, Verhaltensweisen und Politik. Jetzt leidet Afrika, also tut etwas dagegen!
Gibt es konkrete Maßnahmen, die unterstützt werden sollten?
Negusu Aklilu: Das kommt auf die verschiedenen Bereiche an. Wichtig ist die Installation effektiver Frühwarnsysteme in Afrika. Fluten sind in Afrika ziemlich alltäglich geworden. 2006 waren davon einige ostafrikanische Länder wie Äthiopien betroffen, jetzt sind es Mosambik, Uganda und einige andere Länder. Das wäre mit guten Frühwarnsystemen nicht passiert. Darüber hinaus gibt es noch verschiedene Technologien und Methoden, die unsere Anpassungsfähigkeit verbessern können. Lokale Fähigkeiten wie traditionelles ökologisches Wissen könnte gesammelt werden, um dem Klimawandel entgegen zu treten. Moderne Technologie aus Europa und der industrialisierten Welt könnte Afrika im besseren Umgang mit dem Klimawandel helfen. Insgesamt gesehen ist die Frage ziemlich kompliziert, weil wir hier über viele verschiedene Bereiche sprechen, die jeweils sehr spezifische Anpassungspläne benötigen. Jedes afrikanische Land ist aufgerufen, einen nationalen Aktionsplan zur Anpassung aufzustellen, der hoffentlich das Ergebnis der Beratung möglichst vieler Akteure sein wird. Dann hängt alles von der Implementierung dieser nationalen Anpassungspläne ab.
Gibt es noch etwas, worauf Sie hinweisen möchten?
Negusu Aklilu: Wie ich in dem Dokumentarfilm "Hotspot Afrika - Die Folgen des Klimawandels" erwähnte, hat der amerikanische Nobelpreisträger Wiesel gesagt: „Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.“ Man kann nicht „Ich liebe dich“ zu jemandem sagen, nur weil man ihn nicht hasst. Nicht zu hassen ist nicht genug. Wir müssen einen Schritt weiter gehen und sicherstellen, dass wir nicht gleichgültig sind gegenüber dieser Person und dem, was ihr passiert. Wir müssen auf eine pragmatische Art unsere Liebe ausdrücken und unsere gute Nachbarschaft. Daher rufe ich die industrialisierte Welt dazu auf, ihre Gleichgültigkeit zu beenden und etwas für Afrika zu tun, und zwar augenblicklich. Klimawandel ist nicht erst morgen auf der Agenda Afrikas, sondern hier und jetzt.
Das Interview führte Bettina Schneider am 27. November 2007 in Berlin.